Nr.1 Juni 2012 - page 67

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ab, sein Dorf blickt hoch zum Fels, zurück zum Präsidenten
und dann alle gemeinsam wieder hinauf zum Fels – mit
offenen Mündern und ungläubigen Augen: Der Stolz Vitz­
naus, das landesweit grösste Schweizer Hoheitszeichen
hängt in Fetzen vom Steigelfadbalm-Dossen. Wärme und
thermische Winde haben der Plastik-Fahne am Fels zuge-
setzt und das Material gedehnt. Die Fahne hat sich aufge-
plustert, gleicht bald mehr einem Luftballon als einer Fah-
ne und platzt schliesslich dem Gemeindepräsidenten in die
Festrede.
Kletterer ohne politische Hintergedanken
Röbi Küttel hatte von Anfang an kein gutes Gefühl ge­
habt bei diesem Unterfangen mit der Kunststoff-Fahne.
Schliesslich geht die Idee einer Riesenfahne am Steigelfad-
balm-Dossen auf ihn zurück. Und schliesslich hat der Weg-
giser auch schon einige einschlägige Erfahrungen gesam-
melt, seit er, 18-jährig, die Felswand 1986 erstmals mit
dem Schweizerkreuz schmückte. Röbi Küttel ist ein Klette-
rer mit Nationalstolz, aber ohne politische Hintergedan-
ken: «Es war immer nur die technische und sportliche Her-
ausforderung, die mich an diesem Fahnenprojekt gereizt
hat». – Schon Nationalheld Tell war ein vom Stolz Getrie-
bener, kein Politiker.
Farbe aus der Spraydose
Seine Liebe zu Felsen und Bergen entdeckte Küttel 1985.
Ohne Vorkenntnisse zog er damals zusammen mit seinem
Freund Flavio Huber los. Der Bergsport faszinierte die bei-
den. Sie begannen gezielt zu trainieren. Mit 18 Jahren be-
stiegen sie alles, was in der Schweizer Bergwelt Rang und
Namen hat: Monte Rosa, Dufourspitze, Matterhorn, Eiger
und Mönch. Aber auch in der Nachbarschaft kletterten sie.
«1986 durchstiegen wir zum ersten Mal den Steigelfad-
balm-Dossen», erinnert sich Küttel. «Als wir das geschafft
hatten, kam uns die Idee mit der Fahne.» Denn der Fels ist
von weit her sichtbar, eine grosse Schweizer Fahne würde
sich hier gut machen, waren Küttel und Huber überzeugt.
Die beiden zögerten nicht, die Idee umzusetzen. «Wir
knüpften Bahnen aus Bauflies zu einer Fläche von zwölf
auf zwölf Meter zusammen. Dann sprayten wir mit Farbe
das Schweizerkreuz darauf.»
Nach der Première verfliegt die Motivation
Mit der Fahne kehrten sie zurück zum Steigelfadbalm-Dos-
sen. Den 32 Kilogramm schweren Stoffpacken im Gepäck
erlaubte sich das patriotische Bergsteiger-Duo für einmal
anstelle des Aufstiegs die Fahrt mit der Seilbahn nach Hin-
terbergen. Von dort trugen sie die Schweizer Flagge über
schmale Pfade zur oberen Kante der Felswand. «Den gan-
zen Tag lang hingen wir an Seilen in der Wand, brachten
Befestigungen an und rollten die Fahne Stück um Stück
aus.» Am Abend war die Attraktion perfekt, die Freude in
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Schon von Weitem ist die von Röbi Küttel und seinem Team montierte Fahne sichtbar.
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