Nr.1 Juni 2012 - page 48

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NAL
Für beide – Botaniker und Bewohner
– ist die Küste zwischen Hertenstein
und Brunnen mit ihrer teils südländi-
schen Pflanzenwelt von besonderer
Faszination: Botaniker finden hier so
genannte insubrische Pflanzen, dies
ist die Bezeichnung für Pflanzen, die
südlich des Gotthards vorkommen,
und im Volksmund wird das Gebiet
«Riviera» genannt. Schon vom Schiff
aus sind Palmen und Bananenbäume
erkennbar, bei genauerem Hinsehen
zeigen sich Edelkastanien und Orchi-
deen. Aufmerksame Beobachter er-
kennen beim Aufstieg an den warmen
Südhängen Stechpalmen, Eiben, Föh-
ren und Pfaffenhütchen.
Laserkraut-Würger
Früher betrieben die Anwohner hier – dank dem Vorzugs-
klima, das auf Föhn, Südlage und Seenähe zurückzuführen
ist – Wein- und Obstbau. Feigen, Mandeln und Pfirsiche
wurden im 17. Jahrhundert geerntet. In den steinigen,
steppenartigen Föhrenwäldern im Gebiet Gersau und
Brunnen trifft man Pflanzenarten, die sonst südlich der Al-
pen heimisch sind wie Cyclamen oder die Feuerlilie. Wegen
der kargen Nährstoff- und Wasserverhältnisse kommen
hier auch so genannte «Würger» vor. Diese Sommerwurz-
Gewächse schmarotzen auf Wurzeln anderer Pflanzen, be-
sitzen selber kein Blattgrün und sind daher weitgehend
von ihren Wirtspflanzen abhängig. Der Laserkraut-Würger
wird beispielsweise bis 70 Zentimeter hoch und fällt im
Sommer durch seine leuchtend gelben Blüten auf.
… und Palmen wie im Tessin
Vitznau und Weggis sind das Zentrum dieser Riviera. Hier
ist das Klima besonders mild. Feigen und Kiwis gedeihen
in besonderer Qualität. Die Kiwi stammt ursprünglich aus
China und Neuseeland, der Feigenbaum aus Nordwestin-
dien, Griechenland, Italien, Vorderasien und Nordafrika.
Der Bananenbaum stammt aus Ostasien und Australien,
an der Riviera macht er zwar Blüten, zur Reife der Früchte
kommt es jedoch nicht – dafür ist die
Vegetationszeit zu kurz. Aber Hanf­
palme, die ursprünglich aus Burma,
China und Japan stammen, werden
hier so gross, wie man sie sonst nur
im Tessin zu sehen bekommt.
Mehr Ertrag aus Kastanien als aus Milch
Die Kastanie, deren Wildform aus Kleinasien stammt und
die von den alten Römern über Griechenland und Italien
zu uns kam, gedeiht in der Schweiz zu 98 Prozent auf der
Alpensüdseite. Die spärlichen Vorkommen auf der Alpen-
nordseite sind meist in Gebieten mit mildem See- oder
Föhnklima zu finden. Urkundlich wurden Kastanien in
Weggis bereits 1378 erwähnt. In verschiedenen Dokumen-
ten und Erzählungen wird die ehemals blühende Kultur
der Edelkastanie am Vierwaldstättersee beschrieben. Al-
lein in der Gemeinde Greppen soll es über 300 Standorte
von Edelkastanien gegeben haben. Vor ungefähr 120 Jah-
ren sei der Kastanien-Erlös in Weggis noch grösser gewe-
sen als jener aus der Milchwirtschaft. Durch klimatische
Veränderungen im 17. Jahrhundert und Importe mittels der
damals neu erstellten Gotthardbahn setzte jedoch ein
Rückgang der Kastanie ein. Zudem lichtete eine Krankheit,
Ein Paradies
für Botaniker
An der Küste des Vierwaldstättersees liegt die Riviera der Zentral­
schweiz. Hier gedeihen Palmen, Bananenbäume und Orchideen.
Text: Andreas Seeholzer Fotos: Josef Sprüngli, Andreas Seeholzer
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