Nr.1 Juni 2012 - page 54

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O
RIGI
NAL
Blättern wir in der Geschichte des Schweizer Tourismus:
Zuerst kamen Naturwissenschaftler, um in unmittelbarer
Anschauung die Phänomene der Schweizer Alpenwelt zu
studieren. Bald folgten Schriftsteller und Maler, die mit ih-
ren Darstellungen einer heilen alpinen Welt seit dem frü-
hen 19. Jahrhundert die ersten Touristen ins Land lockten.
Was war das Einzigartige? Nirgendwo sonst fanden Gäste
eine ähnliche Dichte an Naturwundern und eine solch ein-
drückliche Landschaft. So wandelten sich Bergbauerndör-
fer zu weltbekannten Tourismusdestinationen. Die Verbes-
serungen im Strassenwesen, die Dampfschifffahrt und der
Aufbau eines Eisenbahnnetzes bildeten die Voraussetzun-
gen, dass sich in der Schweiz im 19. Jahrhundert eine frühe
Tourismusindustrie entwickeln konnte.
Die ersten Gästehäuser in der Zentralschweiz
In der Zentralschweiz beginnt die touristische Entwicklung
1815. In diesem Jahr wird auf Rigi ein erstes Gasthaus ge-
baut und 1816 eröffnet. Der Arther Tuchschneider und Ri-
giführer Joseph Martin Bürgi (1778 – 1833) begann 1814
mit den Vorarbeiten für ein Gasthaus auf der Kulm. Er be-
trieb bereits eine Gaststätte im Rigi Klösterli. Nachdem
dann die notwendigen Mittel beschafft werden konnten,
konnte das erste Kulm-Gasthaus mit sechs Betten am
6. August 1816 eröffnet werden. Gleichzeitig entstand in
Küssnacht direkt am See, in einem barocken Pfarrhaus, ein
erstes Hotel, das heutige Seehotel Du Lac. Dazu Heinz Ho-
rat, Direktor des Historischen Museums Luzern: «Der Berg
und der See üben eine besondere Faszination aus auf die
ausländischen Gäste. Interessantes Detail: 1820 lässt die
Luzerner Regierung auf Antrag der Schiffsleute und Rigi-
träger den Alpweg von Weggis auf die Rigi als gut begeh-
bare Touristenroute ausbauen. Dies bevor die Überland­
strassen im Flachland gebaut wurden.
So war das Prinzip der touristischen
Infrastruktur definiert: Die Stadt Lu-
zern als Ausgangspunkt, die Fahrt auf
dem See, das Seehotel im Dorf, der
Bergweg, das Gipfelhotel.» Der heuti-
ge Tourismus-Slogan «Die Stadt – der See – die Berge»
wurde eigentlich vor 200 Jahren geboren…
Thomas Cook bringt den organisierten Tourismus
Bereits ab Mitte des 19. Jahrhunderts kann von einer ei-
gentlichen Tourismusindustrie gesprochen werden. Teile
dieses Prozesses sind die Eisenbahnen, die Schiffe und die
Bergbahnen, die Palasthotels in der Stadt, in den Seedör-
fern und auf den mittleren und obersten Lagen der Berge.
Geradezu unglaubliche Kapazitäten wurden praktisch im
Jahresrhythmus bereitgestellt, enorme Investitionen getä-
tigt, hohe Risiken eingegangen. Dazu der Historiker Heinz
Horat: «All dies natürlich ohne raumplanerische Rahmen-
bedingungen, ohne Natur- oder Heimatschützer, ohne
Baubewilligungsverfahren. Eine total neue Gebäudedi-
mension wurde in unserer Landschaft sichtbar.» Ihre Prot-
agonisten verstanden es, diese neuen Möglichkeiten für
ihre Zwecke zu nutzen und zu vernetzen. Einer von ihnen
war der Engländer Thomas Cook. Seine «First Conducted
Tour of Switzerland» von 1863 markiert den Anfang des or-
ganisierten Tourismus in der Schweiz. Ein wichtiger Fix-
punkt in Cooks Reiseprogramm war die Rigi. Acht Jahre
vor der Eröffnung der ersten Bergbahn Europas, der Vitz-
nau-Rigi-Bahn, musste die englische Reisegruppe den Berg
noch zu Fuss ersteigen. Neben den organisierten Reisen
kam in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein weite-
res Phänomen hinzu, der Alpinismus. Vom Erfolg der 1871
eröffneten Rigi-Bahn angetan, wurden zunächst Grindel-
wald, Lauterbrunnen und Mürren von Interlaken aus er-
schlossen. In den folgenden Jahren entstanden die Bahnen
über die Kleine Scheidegg und auf die Schynige Platte. Von
1898 bis 1912 wurde schliesslich die Jungfraubahn mit
dem höchstgelegenen Bahnhof Europas erstellt.
Wann und wo – und warum und womit –
entstand in der Zentralschweiz der Tourismus?
Text: Josef Odermatt Fotos: Maria Schmid und Archivfoto
Alles begann vor
200 Jahren auf der Rigi
Gelebte Gastfreundschaft steht im Mittelpunkt des Jubiläums
200 Jahre Tourismus in der Zentralschweiz.
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