ORIGINAL Nr. 3 - September 2014 - page 57

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Bau der Rigibahn eine grosse Gruppe von
Leuten gebildet, die sich in den Dienst des
Rigitourismus gestellt hatte – als Gepäck-
und Sänftenträger oder als Rosshalter. Jah-
relang machten sie damit recht gute Ver-
dienste. Vor allem das Bereitstellen der
Pferde, um damit die nicht bergtüchtigen
Gäste auf die Rigi zu transportieren, war
ein einträgliches Geschäft. 10 Franken kos-
tete der Transport nach Rigi-Kulm. Der Ta-
gesverdienst eines Arbeiters betrug in jener
Zeit etwa 3 Franken. Die Touristen zahlten
also mehr als das Dreifache eines Arbeiter-
Taglohnes, umgekehrt nahmen die Ross-
halter – auch nach Abzug der Kosten für
den Unterhalt der Pferde – sehr viel mehr
ein als ein normaler Arbeiter.
Verständlich natürlich auch, dass sich in
den einzelnen Dörfern unzählige arme Bau-
ern um diese neue Verdienstmöglichkeiten
rissen – im wahrsten Sinne des Wortes: Es
kam vor allem an den Schiffländen immer
wieder zu üblen Schlägereien, denen die
Polizei kaum Herr werden konnte. Zudem
wehrten sich die Dorfwirte dagegen, dass
jedermann in «ihr» Geschäft eindringen
konnte. Schliesslich hatten sie einiges da-
für gemacht, dass diese Bergtouristen über-
haupt in die Dörfer kamen. Nun wollten sie
auch die Einnahmen aus deren Transport.
Jahrelang tobte der Streit zwischen den
Dorfbewohnern und den Wirten. Schliess-
lich mussten sogar der Bundesrat und die
Bundesversammlung zur Sache Stellung
nehmen.
Zwei Wirte, Jakob Josef Zimmermann in
Weggis und Kaspar Trutmann in Küss-
nacht, machten mit dem Rigitourismus be-
sonders gute Geschäfte. Zimmermann hat-
te nach dem Besuch des Lehrerseminars
zunächst als Lehrer in Vitznau gearbeitet
und war schliesslich Gemeinde- und Kor-
porationsschreiber geworden. Das half ihm
später, die langen Bittschreiben und Klagen
an die entsprechenden Behörden zu verfas-
sen. 1850 kaufte Zimmermann das Gast-
haus zum Dampfschiff, das er ein Jahr spä-
ter erweiterte und in «Eintracht» umtaufte.
Kaspar Trutmann hatte zunächst in der
Hohlen Gasse das Hotel Wilhelm Tell er-
baut (das später der Missionsgesellschaft
verkauft und vor wenigen Jahren abgebro-
chen wurde). Später erstellte Trutmann den
Seehof in Küssnacht, der sich ganz in den
Dienst des neuen Rigitourismus stellte. Bei-
den lief es bestens: Zimmermann stockte
sein Haus 1867 um eine Etage auf, Trut-
mann folgte 1870, indem er ebenfalls einen
zusätzlichen Stock baute und dem Haus
den charakteristischen Erker anfügte.
Vor allem in Küssnacht war man richtig eu-
phorisch in jener Zeit. Die Gesellschaft der
Pferdehalter fand 1867: «Wenn sich der Ver-
kehr nur die zehn folgenden Jahre so ver-
mehrt, so wird Küssnacht der Hauptver-
kehrspunkt des Rigi werden». Wie alle wis-
sen, kam es ganz anders: In den siebziger
Jahren wurde zuerst die Vitznauer, später
die Arther Rigibahn erstellt. Die Träger und
Pferdehalter in Küssnacht und Weggis
brauchte es praktisch nicht mehr. In einem
alten Jubiläumsbuch des Kurvereins Weggis
heisst es: «Die tötende Konkurrenz, wie
man befürchtete, erschien nun doch, der
Rigiverkehr mit Pferd und Tragsessel wurde
lahmgelegt. Ein grosser Katzenjammer leg-
te sich auf die enttäuschten Weggiser».
Noch drastischer schilderte es Andreas
Zimmermann in seinen Lebenserinnerun-
gen: «Wieder am Heimatort, in dem verlas-
senen, fast sterbenden Weggis! Verlassen
vom Fremdenverkehr, verschwundener Ri-
gitourismus, die kaum erwachte Hotellerie
in den letzten Zügen, eine vernachlässigte
Landwirtschaft, eine trostlose Verdienst-
möglichkeit, das war die Signatur jener
Zeit!» Jakob Josef Zimmermann verkaufte
das Hotel Eintracht noch im Eröffnungsjahr
der Vitznauer Rigibahn, Trutmann konnte
sich knapp über Wasser halten. Nur noch
vereinzelt allerdings stellten sich in Küss-
nacht Träger und Rosshalter am Landungs-
steg auf. «Da die Reisewelt anfing auszu-
bleiben und bei der Sache nichts mehr her-
ausschaute, wurde ihnen das Geschäft zu
langweilig und man wandte sich wieder der
handwerklichen oder landwirtschaftlichen
Tätigkeit zu», heisst es 1916 in der Zeit-
schrift «Alpina» in einem Nachruf auf Franz
Frank, den „letzten Küssnachter Herren-
führer und Rigiträger“. Frank selber beglei-
tete 1885 noch einmal eine Gruppe Englän-
der mit Pferden auf die Rigi. Man habe al-
lerdings bereits grosse Mühe gehabt, das
nötige Sattelzeug im Dorf aufzutreiben,
hiess es im Bericht.
Selbstverständlich war Dr. Schnyders
Bahnprojekt keine Lösung für die arbeitslo-
sen Träger aus Küssnacht und Weggis. Er
war aber überzeugt, dass er ihnen «eine
neue, leichtere und einträglichere Ver-
dienstquelle» bieten könnte «als es die ei-
nes bisherigen Trägers gewesen war». Wie
so viele andere utopischen Bahnprojekte
versandete aber auch diese Idee.
Vor dem Bau der Bergbahnen war das Geschäft
der Pferdehalter sehr lukrativ. Kulm in den
1860er-Jahren.
Nach dem Bau der Vitznauer Bahn 1871 breitete
sich in Küssnacht und Weggis der Katzenjam-
mer aus. Niemand wollte noch per Pferd auf die
Rigi.
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