Nr.2 Oktober 2013 - page 44

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O
RIGI
NAL
Im 19. Jahrhundert war das ganz anders:
Da gab es kaum einen Reiseführer und
kaum eine Reisebeschreibung, in denen
nicht gross über das Gespenst berichtet
wurde. Es galt nämlich als ein ganz beson-
deres Phänomen.
In der «Gartenlaube», einer damals popu-
lären Zeitschrift, berichtete 1877 ein Mo-
ritz Busch recht prahlerisch über seine
Reisen, die ihn um die ganze Welt geführt
hätten und auf denen er zahlreiche Welt-
wunder gesehen habe. Dem «wunderbars-
ten unter den Naturspielen» aber sei er auf
der Rigi begegnet, dem Rigigespenst eben.
Es war im Spätsommer 1865, als Busch im
Hotel auf dem Staffel Quartier bezog und
vor dem Abendessen noch die Aussicht be-
wundern wollte. Er war begeistert: «Die
Dörfer, die einzelnen Gehöfte, die Capel-
len, die Wiesen und Büsche lagen, mit
brennendem Tiefgelb überzogen, wie ein
erhaben gearbeiteter Teppich vor uns». Zu-
letzt ging es noch auf den Rotstock, wo
eben einige Nebelschwaden vorbeizogen.
In diesem «Wölkchen» nun entdeckte
Busch ein Phänomen, «das erst bleich,
dann heller und zuletzt brennend, wie ein
Rad ohne Speichen und Nabe aussah». Der
Kreis hatte alle Farben des Regenbogens,
und mittendrin sah er eine Figur, die sich
bald als sein eigener Schatten entpuppte –
jedenfalls hatte dieser den gleichen Stock
und den gleichen Hut wie er selber. Und
das Nebelbild, wie das Phänomen auch ge-
nannt wurde, bewegte sich, wenn er selbst
sich bewegte. Busch glaubte der Sache
noch immer nicht, weshalb er seinen
Schirm in grossen Bewegungen schwenk-
te. Doch auch diese Bewegungen machten
der Schatten und der daran sich an-
schmiegende Regenbogen mit.
Weil Busch sich immer noch nicht sicher
war, wandte er sich an einen Mann mit
zwei Mädchen, der in der Nähe stand.
Doch auch dieser Zeuge sah, was er schon
gesehen hatte. Und als ein Mädchen neben
ihn stand, war auch dieses im Nebelbild zu
sehen. Als die Leute ins Hotel zurückkehr-
ten, erklärte man ihnen: «Sie haben das
Rigigespenst gesehen».
Albert Heim, zu seiner Zeit ein weit herum
bekannter Zürcher Geologieprofessor, sah
die Sache als Wissenschafter und darum
sehr viel nüchterner. Er habe die Erschei-
nung jedenfalls schon mehrere hundert
Mal gesehen. Diese sei häufiger als ein
normaler Regenbogen. In den sechziger
Jahren des 19. Jahrhunderts hatte Heim
Das Rigigespenst ist heute kaum noch
bekannt, obwohl es eigentlich gar nicht
so selten auftaucht.
Text & Fotos (Archiv): Adi Kälin
Auf der Suche nach
dem Rigigespenst
Dieser alte Stich zeigt das berühmte Nebelbild auf der Rigi, das sehr oft auch Rigigespenst genannt
wurde. (Archiv Adi Kälin)
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